Talsohle adé!

Verdient unverdient. So fasse ich mal das gestrige Spiel zusammen. Erstaunlich, wie sehr diese Saison von Nachspielzeiten bestimmt wird. Gefühlt in jeder zweiten Partie, die uns (und unsere Konkurrenten)betrifft, wird sich förmlich 90 Minuten auf die Extra Time vorbereitet, in der sich dann alles entscheidet.

Und selbst der Umstand, dass uns gestern diese Phase einen Punkt auf Heidenheim, die ja bekanntlich ausschließlich nach der 90. Minute treffen, gekostet hat, war der Ausgleich in Köln sooooo wichtig für den Kopf. Für die Moral.

Unser Tagebuchschreiber vom Dienst verdaut die vergangene Woche auch noch geschwind:

 

Die gemeinen Spieltagebücher des João Marinho Neto

 

Sonnabend, 29.11.25

 

 

Bayern - FCSP 3:1

Das sinnloseste und damit überflüssigste Spiel der Saison, was ja vorher schon feststand. Dass man unserem Team bis in die Nachspielzeit hinein einen Strohhalm hingehalten und dann am Ende doch weggezogen hat, hätte mich in ganz früheren Zeiten so richtig geärgert, inzwischen tangiert mich das null. Habe heute Nachmittag ne Netflix-Serie geguckt. War nett.

 

 

 

Dienstag, 02.12.25

 

Mönchengladbach - FCSP 1:2

 

(DFB-Pokal Achtelfinale)

Als ich bei der TV-Übertragung den Fan mit der Pudelmütze sah, auf der in großen Lettern „RUSSIA“ stand, dann war ich schon mal froh, dass unser Club nicht nur einen knackig kurzen, sondern auch unmissverständlich positiven und unverwechselbaren Namen hat.

 

Die oberflächlich betrachtete Aussicht für dieses Aufeinandertreffen erschien düster: Wenn man gegen diese Gladbacher bereits am Millerntor mit 0:4 böse unter die Räder gekommenen war, wie soll es erst auswärts werden?

 

Also schnell die Pokalhateigenegesetze-Münze ins Phrasenschwein geworfen, die seit kurzem wieder ansteigende Formkurve und die stabile Leistung beim 1-Millliarde-Team herbeigezogen und ab zum Bökelberg. Äh, Russen-Park. Äh nee… wie heißt das jetzt? Egal. Ich war eh nicht dabei. Wie so viele andere, der Gästeblock war nur gut halb gefüllt. Hatten wir sehr lange nicht. Aber wer kann sich unter der Woche mal eben 1-2 Tage frei nehmen? Respekt allen, die da waren.

 

Leute, dieser Sieg war so wichtig. Im Pokal hast du keine Möglichkeit, es beim nächsten Mal wieder gutzumachen. Raus ist raus. Jetzt Viertelfinale, wie geil! Von den zusätzlichen Einnahmen ganz zu schweigen. An die 2 M kommen auf‘s Konto, für einen Verein wie dem FC St. Pauli ist das eine bedeutende Zusatzeinnahme. Und noch besser: Ein großer Schritt auf dem kürzesten Weg nach Europa! Drei Siege noch und die Reise nach Tel Aviv, Nizza oder Vigo kann gebucht werden! Ich hol schon mal die Sonnencreme.

 

Die Leistungswende ist da, jetzt wollen wir das in Liga-Punkte ummünzen! Wir verlieren zusammen und wir gewinnen auch wieder zusammen! So!

 

 

Sonnabend, 06.12.25

 

Köln - FCSP 1:1

 

Ein Tor! In allerletzter Sekunde! Das ändert alles. Nein, das ändert gar nichts! Verdammt, watten nu? Es ändert kein bisschen das Fußballspiel, das in den 94 Minuten vorher gelaufen ist. Und das war deprimierend. So deprimierend wie das Wetter da draußen. So deprimierend, wie zehn Stunden umsonst Schlange stehen. So deprimierend wie ein Sommerurlaub in Nordkorea.

 

Irgendwann Mitte der zweiten Halbzeit poppte C-3PO vor meinem geistigen Auge auf. „Die Chancen, hier noch ein Tor zu schießen, stehen 3720:1“. „Erzähl mir nie, wie meine Chancen stehen!!“ brüllte ich laut heraus und die Leute um mich herum guckten mich irritiert an. Dabei hatte er Recht. Und dann beförderte der schnellste Spieler der Welt die Pille mit dem Hinterkopf bei einem xG von wohl 0,0001 (was in etwa einer Wahrscheinlichkeit von 3720:1 entspricht) ohne hinzugucken ins lange Eck. Der Flug des Balls dauerte gefühlt 3720 Sekunden. Mehr Glück als Verstand. Warum nicht, bisher war’s ja oft umgekehrt. Jedenfalls wird es wohl so aussehen, dass alle Spieler des FC St. Pauli in den üblichen Fachblättern um eine Note nach oben gerankt werden, nur wegen des Last-Second-Treffers. So wie alle runtergenotet werden, wenn in der Nachspielzeit noch ein Gegentreffer fällt. Reine Psychologie! Hat mit der Realität nix zu tun!

 

Aber genau diese Psychologie ist es, die jetzt doch alles ändert. Die Horror-Serie ist durchbrochen. Das Ruder wird Stück für Stück nicht herumgerissen, aber zumindest langsam wieder in Richtung Kurs Klassenerhalt bewegt. Noch fliegen wir auf den Todesstern zu, aber er ist noch ein paar Parsecs entfernt. The trend is your friend, auch wenn der nur hauchzart ist. Wir sind nicht tot, wir haben auswärts gepunktet, wir haben Heidenheim vor den Blastern. Möge die Macht mit uns sein!