Auf einem Bein kann man nicht stehen...

... deswegen gleich noch einen:

 



RICHTIGSTELLUNG

 

Auch den Premium-Menschen von Qualitäts-Magazinen unterlaufen gelegentlich „Fehler“. Geschichten, die schon länger in der Vergangenheit liegen, werden dann nicht ganz „richtig“ wiedergegeben beziehungsweise nicht mehr ganz so nah an der Wahrheit verortet. Teilweise kann in diesen Fällen auch der Eindruck entstehen, dass sich ganze Handlungsstränge ausgedacht wurden, um ein möglichst noch breiteres(!) Publikum mit seinen niederen Unterhaltungs-Bedürfnissen anzusprechen. Ich möchte hier keinen gehackten Email-Account als Entschuldigung anführen, sondern stattdessen die wahre Geschichte erzählen.

 

SAMSTAG

 

Bis gleich“ sagt Alan und streicht mir im vorrübergehen mit seiner Hand über die Schulter. Ich beschließe noch eine Weile zu warten und ihm dann erst zu folgen. Mit den Augen fokussiere ich seinen eleganten Gang bis er den Saal verlassen hat. „Unglaublich, wie sein Anzug sitzt“ denke ich leise. Perfekte Eleganz. Ich würde es ihm sogar sagen, wenn er nicht so ein Arschloch wäre. Vielleicht haue ich ihm später auch einfach auf die Fresse, aber dafür bin ich im Moment noch nicht besoffen genug. Ich trinke mein Glas aus, stehe langsam auf und gehe langsam durch den großen Raum. Ganz langsam, um keine Hektik zu vermitteln. Es ist Rainers Party. Der Saal ist festlich geschmückt und durch die hohen Fenster eröffnet er einem einen traumhaften Blick auf den Hafen, in dem etliche Yachten ankern. Viele Menschen sind an diesem Abend gekommen. Viele hübsche Menschen und ich bin einer von Ihnen. Auf dem Weg fällt mir eine Rothaarige auf. Mit einem Lächeln mustert sich mich von oben bis unten. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich es auf meinen weißen Anzug schieben, den ich heute zum ersten Mal trage. Ich sehe grandios darin aus. Alan mag vielleicht sportlicher sein, dafür ist er ein Langweiler und ein bestimmt ein Egoist im Bett. Nachdem ich den Raum verlassen habe, biege ich nach links zu den Sanitäranlagen ab. Sogar die Toiletten-Räume haben ein fürstliches Antlitz und sind riesig. Es gibt alleine 16 Kabinen, die von oben bis unten geschlossen sind, so dass kein Geräusch nach außen dringen kann. Die Türen sind schwer. Für mich ist das wichtig, da ich auf dem Klo meine Ruhe brauche. Ich kann nicht pinkeln, wenn (fremde) Menschen in meiner Nähe sind und schon gar nicht auf Kommando. Wer kann das schon? Männer, die einen multiplen Orgasmus erleben, die können so was vielleicht. Oder Legenden des erotischen Films wie Rocco Siffredi, Peter North oder der Mann mit dem schwarzen Riesenkobraschwanz. Ich aber nicht. Paruresis nennt sich dieses Phänomen, wie mir mal ein befreundeter Mediziner verriet. Manchmal, wenn keine Gefahr besteht, dass mich jemand überraschen könnte, probiere ich mich selbst aus und stelle mich an ein Pissoir. Und wenn ich, wie jetzt, schon leicht besoffen bin, dann ist es eigentlich auch gar kein Problem. „Hier bin ich, du Penner!“ zischt Alan leise aus einer der Kabinen und macht eine hektische Handbewegung, die mir verdeutlichen soll, dass ich schnell zu ihm in die Kabine kommen soll. Ebenso hektisch schließt er die Tür hinter mir, nachdem ich zu ihm in die Kabine gekommen bin und verriegelt sie. Auf dem Sims, der stilsicher die Spül-Apparatur versteckt und mit schwarzem Schiefer gekachelt ist, liegen zwei Linien Kokain. Es sind zwei sehr dicke Linien. Ich würde vier Linien daraus formen, aber das kann ich Alan nicht sagen, weil er mich sonst als „Schwuchtel“ oder „Pussy“ bezeichnen würde. Alan ist unglaublich homophob, obwohl er das niemals zugeben würde.

 

„Schniiiieeeeeffff!!!!“

 

So schnell, wie er sich das Kokain in die Nase gezogen hat, verlässt er auch schon wieder die Kabine. Ein paar Krümel des Kokains reibt er sich noch ins Zahnfleisch, was mir allerdings zu Klischee-beladen ist. Ich pisse noch, wasche mir die Hände und kehre auf die Party zurück.

 

Auf dem Weg zu meinem Platz nehme ich mir noch etwas zu trinken mit und setzte mich wieder auf meinen Stuhl. Meine Tischnachbarn haben ihre Plätze verlassen und sind wild am Tanzen. Alan steht an der Bar und versucht weltmännisch zu wirken. Es gelingt ihm nicht. Er war zwar bei der Armee und ist dadurch viel in der Welt herumgekommen. Geblieben ist ihm aber lediglich sein sportlicher Körper und seine Koks-Connection, die eigentlich auch der einzige Grund ist, warum ich mich überhaupt mit ihm abgebe. Ansonsten ist er ein konservatives Arschloch, ein Neu-Rechter, was die meisten Menschen (mich eingeschlossen) allerdings zu spät bemerken. Leider hat er mit seiner Masche bei den Frauen richtig Erfolg, worum ich ihn wirklich beneide. Manchmal möchte ich dann wie er sein, obwohl ich das niemals zugeben würde. Während meines Gedankenganges treffen sich unsere Blicke. Er hält sein Glas in meine Richtung und schaut gönnerhaft zu mir herüber. „Na, warte!“ sage ich leise. Schon auf dem Weg zu meinem Platz hatte ich das Bedürfnis zu furzen. Wahrscheinlich vom Koks? Ich stelle mir vor, dass die Blubberblasen in seinem Getränk nach meinen alten Abgasen riechen, trinke mein Glas leer und versuche dabei möglichst entspannt zu wirken. Leider ist der winzige Windstoß flüssig und rutscht mir, so nass wie er ist, in die Hose. Ich schaue nicht nach, aber ich weiß, meine weisse Hose färbt sich in diesem Moment schmierigbraun. Eine Katastrophe. „ALAN, DU WICHSER! HAST DU DUMME FICKFRESSE MIR ETWA SCHLECHTES KOKS UNTERGEJUBELT?!“ Alan steht immer noch an der Bar, unterhält sich inzwischen mit einer Frau und bekommt von meiner sich anbahnenden Katastrophe gar nichts mit. „So kann man sich natürlich auch der Konkurrenz erledigen!“ bilde ich mir ein. Mittlerweile empfinde ich nicht nur die Farbe meiner Scheisse geradezu körperlich, sondern rieche den bestialischen Gestank, der sich um mich herum, wie eine schlechte Aura, ausbreitet und überlege fieberhaft, wie ich mich aus dieser Situation befreien kann. Aufstehen ist natürlich nicht drin und meine Jacke hängt an der Garderobe. Ansonsten könnte ich sie mir um die Hüfte binden und einfach schnell verschwinden.

 

Noch während ich überlege, wie ich mich aus meiner misslichen Lage befreien könnte, höre ich eine Stimme hinter mir. „Hallo, möchtest Du noch etwas mit mir trinken?“ säuselt mir Anna-Lena entgegen. Ihre Augen scheinen zu blitzen. Sie sieht wunderschön aus und ahnungslos, obgleich meines Malheurs. „Ja, klar, bring mir doch Bitte…irgendetwas mit“ entgegne ich ihr augenblicklich, um Zeit zu gewinnen.

 

Anscheinend gefällt ihr mein etwas gebieterischer Ton und sie begibt sich sofort zur Bar. Adrenalin schießt durch meinen Körper. „Was soll ich bloß machen?“ schießt es durch meinen Kopf. Anna-Lena und ich kennen uns schon seit wir Kinder waren. Sie ist die Schwester eines sehr guten Freundes und damit Tabu, was irgendwelche unverbindlichen und flüchtigen Fickereien angeht. Zudem fällt sie unter die Kategorie „Geigenmädchen“; Frauen aus bürgerlichen beziehungsweise akademischen Haushalten, die mindestens Gymnasien und Privatinternate besuchten und die als Sportarten nur Reitsport, Tennis und Hockey in Erwägung ziehen. Selbst ihre männlichen Pendants spielen keinen Fussball (Proletensport), sondern gehen stattdessen Rudern. Außerdem sind sie sehr musikalisch, worauf auch der Name abzielt. Anna-Lena könnte auch Johanna heißen. Sie trägt Sommersprossen im Gesicht und auf den Schultern. Ihre Haut ist leicht blass und liegt eng auf den Knochen, wie die von Kate Moss. Außerdem hat sie eine Stimme, wie von einem Computerprogramm gemacht, total hoch und sanft. Meine Hose stinkt hinten und spannt vorne. Schneller als gedacht ist Anna-Lena auch schon wieder da, stellt mir meinen Drink vor die Nase und rümpft augenblicklich die Nase. Angriff ist noch immer die beste Verteidigung denke ich mir und außerdem schien ihr mein harscher Tonfall von vorhin ja gefallen zu haben. „Der Hafen!“ sage ich. „Wie bitte?“ entgegnet sie mir fragend. „Der Hafen stinkt so! Unten ist eine Fischkonservenfabrik und wenn der Wind ungünstig steht, dann weht der eklige Geruch hier hoch“ versuche ich sie recht souverän zu überzeugen. „Und warum schließen die dann nicht die Fenster?“ blickt sie mich fragend an. „Keine Ahnung, habe ich Rainer und Patricia auch schon vorgeschlagen, aber die scheinen das gar nicht mehr wahrzunehmen“ lüge ich ihr selbstbewusst vor und versuche dabei nicht zu offensichtlich in ihr, mit Sommersprossen verziertes, Dekolletee zu glotzen. „Vielleicht, weil wir sonst nicht die Sterne sehen könnten?!“ sagt Anna-Lena und lächelt, während wir gemeinsam anstoßen. Hoffentlich will sich nicht auch noch tanzen, denke ich ohne zu ahnen, wie lang dieser Abend noch werden sollte.

 

Bjergen Kjergen