Interview Nicolò Rondinelli

Redaktionskollege Herr Momoi bat mich, Promotion für das erste Buch über die hiesige Fanszene in italienischer Sprache zu machen. Recht hat er! Deshalb an dieser Stelle das Kiezkieker-Interview mit Nicolò Rondinelli aus dem letzten Herbst:

Interview mit Nicolò Rondinelli


St. Pauli ist kein Mythos!“


Bei einem Besuch des Ultima Cena (Neuer Kamp 3) traf ich Mitinhaber Massimo Finizio, einen alten Kollegen von mir. Muss ich nicht näher vorstellen, die meisten werden ihn kennen. Nach einigem Klönschnack zeigte er mir ein dickes, gebundenes schwarzes Buch mit goldener Aufschrift. Das voll edel gestaltete Werk entpuppte sich als Doktorarbeit über den FC St. Pauli. Das an sich fand ich schon ziemlich bemerkenswert. Doch als ich erfuhr, dass der Autor auch noch an einem Buch über den Verein schreibt, wollte ich mehr wissen. Da passte es sich gut, dass Nicolò Rondinelli zum nächsten Heimspiel nach Hamburg kommen sollte. Also traf ich mich mit ihm im UC. Massimo schwirrte auch im Laden rum und wird zwischendurch auch was sagen, nicht dass Ihr Euch wundert. Nico ist 32, kommt aus Novara (ca. 40 km von Mailand entfernt) und graduierte an der Universität Mailand-Bicocca.


Wie kommt man dazu, eine Doktorarbeit über den FC St. Pauli zu schreiben?


Ich liebe Fußball, seit ich sprechen und laufen kann. Das ist der Grund, warum ich diese Arbeit geschrieben habe. Bis zu meinem 19. Lebensjahr habe ich selbst aktiv für ein Team in Novara gespielt. Ich bin Fan von Inter Mailand. Ich gucke mir immer Fußballspiele an. Fußball ist für mich nicht nur ein Sport, sondern auch eine sozialkulturelle Sache. Das ist der Grund, warum ich tiefer in die Thematik Fußball, zum Beispiel beim FC St. Pauli, und den politischen Einfluss auf die Verbindung zwischen Fußball und Gesellschaft & Kultur eingehen wollte. Ich habe Pädagogik studiert und arbeite als Sozialarbeiter mit benachteiligten Jugendlichen. Das ist ein weiterer Grund, warum ich den FC St. Pauli analysieren wollte. Die Doktorarbeit selbst hatte mit dem zentralen Lehrziel meines Studiums zu tun. Die Verbindung zwischen einem Erziehungsprozess und dem Streben nach einer „besseren Gesellschaft“. Ich denke, dass St. Pauli – Verein, Fans Stadtteil – dies in gewisser Weise repräsentieren kann. So beschloss ich, die Verbindung dieser drei Dimensionen zueinander zu untersuchen. Dabei realisierte ich, dass diese starke Verbindung zwischen dem Verein und dem politischen und kulturellen Engagement der Fans einmalig ist. Ich muss sagen, dass sich durch die Informationen, die ich bekommen habe, mein Bild vom Verein zu Beginn der Untersuchung bestätigt hat.


Was ist der Inhalt der Dissertation? Und welche Note hast du bekommen?


Die Arbeit beginnt mit dem globalen politischen und kulturellen Potential des Fußballsports, die Welt zu beeinflussen und möglicherweise zu verändern. Auf dieser Grundlage habe ich versucht, den FC St. Pauli im Kontext der Beziehung zwischen der Organisation des Vereins, im speziellen dem sozialen Aspekt des Vereins – die Fans, der Fanladen, der starke politische Einfluss der Mitglieder auf die Vereinsführung und ihre Entscheidungen – zu analysieren. Ich schrieb über die Fans und die Geschichte der Fanbewegung beginnend in den Achtzigern, wie die Hafenstraßenbewohner zum Millerntor gingen. Um zu beschreiben, wie die starke Rolle der Fans entstanden ist, um politischen und kulturellen Einfluss auf die Fußball- und Supportkultur zu nehmen. Gegen Repression oder gegen Rechtsradikale auf dem Traversen. Aber auch den Einfluss auf die Gesellschaft und den Stadtteil. Ich war wirklich fasziniert von diesen alten Geschichten. Als Fazit wird deutlich, wie groß die Dimension der kulturellen und politischen Verbindung des Vereins, der Fans und des Viertels ist, gerade bei gesellschaftspolitischen Themen wie aktuell z.B. Lampedusa in Hamburg oder die Rote-Flora-Unterstützung im Dezember letztes Jahres. Sie ist noch größer, als ich es erwartet hatte. Ich sehe das bei St. Pauli als eine globale Einheit. Die Arbeit hat die Bestnote mit Laudation bekommen (lacht).


Was für ein Bild haben die Leute in Italien vom FC St. Pauli?


Ich kann dir etwas über mich erzählen. Ich entdeckte St. Pauli über Fanzines. Mitte der Neunziger begann ich, Punk und Hardcore zu hören und die ersten italienischen DIY-Punkrock-Fanzines zu lesen. Ich las über einen bestimmten Club und seine Fans, das war natürlich St. Pauli. Da gab es z.B. eine Kolumne über den Zusammenhang von Fußball und Gesellschaft und über Nazis in den Stadien zu lesen. St. Pauli wurde als Beispiel für den Kampf gegen rechte Einflüsse auf den Traversen genannt. Das ursprüngliche Bild des Vereins war das eines linken Fußballclubs mit einer starken politischen Wirkung. Aber damals konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass St. Pauli viel mehr als das ist. Sicherlich gehört das zu den Hauptmerkmalen des Vereins, aber eben nicht nur. Was andere Leute in Italien betrifft, so haben sie wohl heute dasselbe Bild, wie ich damals. Das Bild des Vereins ist durchaus positiv, aber vielleicht auch oberflächlich. Und ich würde allen gerne erklären, dass St. Pauli mehr ist. Er ist ein sozialer Verein, er ist Fußball und Kultur, eine Kultur der Solidarität, Antirassismus, Antifaschismus, Loyalität, wie gesagt, als globale Einheit. Er ist eben mehr als ein Fußballclub.


Inwieweit hat sich Dein Bild bei Deinem ersten Besuch am Millerntor bestätigt?


Das erste Mal war ich vor zwei Jahren hier, zusammen mit meiner Freundin. Wir waren eher normale Touristen. Natürlich habe ich mir ein Spiel angesehen, gegen Karlsruhe, das war ein 1:0. Das erste, was mich überrascht hat, war die große Gastfreundschaft, die ich hier vorfand. Das Jolly Roger, der Stadtteil, sich mit den Menschen zu unterhalten. Es waren eine Menge Leute aus allen möglichen Ländern da, Griechenland, Italien, Spanien. Die ersten, den ich kennenlernte, waren zwei spanische Jungs, die ich auch gestern wieder getroffen habe. Diese große Gastfreundschaft hat mir sehr gefallen. Ich hatte das nicht erwartet. Wenn ich eine neue Kultur kennenlerne, beobachte ich sie respektvoll gerne erst mal aus einer bestimmten Entfernung. Hier kamen gleich Leute auf mich zu und fragten mich, wer ich bin, woher ich komme, „ah du bist Italiener und hier, um St. Pauli zu sehen, komm mit uns mit“ usw. Das war großartig. Natürlich hat das meine Meinung über den Verein nicht gerade verschlechtert. Ich entdeckte dann viele Bereiche der Kultur St. Paulis.


Wie hast du das Spiel selbst erlebt?


Ehrlich gesagt war Fußball nicht unbedingt das, was mich auf den Verein neugierig gemacht hatte. St. Pauli ist mehr als Fußball. Der Fußball ist eine Möglichkeit, Politik und Kultur auszudrücken und zu promoten. Natürlich liebe ich Fußball. Ich hatte die Chance, zwei Spiele zu sehen, und mir hat es gefallen. Es ist hier sicherlich nicht der Fußball, der in der Champions League gespielt wird, von Real Madrid oder Manchester United. Aber ich habe beim St.-Pauli-Spiel möglicherweise mehr gefühlt, als bei meinem Verein Inter Mailand. San Siro ist ein sehr beeindruckendes Stadion. Aber hier ist es emotionaler. Denn es ist nicht nur das Spiel. Es ist das vor-. während-, und nach dem Spiel...


Die Popularität des FC St. Pauli ist in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich gestiegen. Und das obwohl der Verein in den letzten 17 Jahren gerade mal ein Jahr in der ersten Liga spielte (und auch noch vier Jahre in der Dritten), nie einen Titel gewann und nie international spielte. Zudem wird im Ausland vor allem über die „großen“ Deutschen Vereine berichtet. Wie ist das vor diesem Hintergrund zu erklären?


Es gibt teilweise eine Verbindung zur Ultra-Kultur in Italien. Die Italienische Ultra-Kultur ist im restlichen Europa sehr populär. Es gibt auch den englischen Stil – Hooligans und eine eher spontane Unterstützung des Teams. Aber das Italienische Modell hat mehr was mit einer großen Organisiertheit zu tun, zum Beispiel bei Gesängen oder Choreografien. Fußball wird an sieben Tagen der Woche gelebt. Vielleicht ist das die Verbindung. Das St.-Pauli-Modell ist sehr populär, weil es so viele positive Aspekte des Italienischen Ultra-Modells hat. Aber natürlich ist St. Pauli vor allem wegen seiner politischen und kulturellen Attitüde populär. Ich entdeckte St. Pauli über die Punkrock-Musik, über Politik und Musik.


Wird das Bild also auch über die Musik transportiert?


Ich denke, dass das nicht so pauschal sagen kann. Teilweise ist das sicher der Fall. Nicht jede Band, deren Musiker St.-Pauli-Shirts tragen, ist Teil der St.-Pauli-Realität oder weiß darüber Bescheid. Aber vielleicht im Sinne der Solidarität, die politische und kulturelle Haltung des Vereins und seiner Anhänger zu teilen und zu unterstützen. Manchmal ist es natürlich auch nur Fashion.


Du planst, ein Buch über St. Pauli zu schreiben. Es wird das erste sein, was in Italien erscheint. Was erwartet den Leser?


Grundlage des Buchs sind natürlich die Erkenntnisse aus der Dissertation. In einer Arbeit für die Universität gibt es allerdings bestimmte Regeln, die eingehalten werden müssen, damit es als wissenschaftliches Werk anerkannt wird. Im Buch soll es dagegen eine Erzählperspektive geben. Ich möchte über meine Emotionen und Gefühle zum FC St. Pauli schreiben. Natürlich wird es die Informationen aus meiner Untersuchung geben. Aber ich möchte mehr über meine Reisen hierher erzählen, die besuchten Spiele, Leute, die ich getroffen habe. Am wichtigsten sind mich die Menschen, die ich kennengelernt habe. Es sollen drei Kapitel werden: Vor, während und nach dem Spiel. In Romanform soll der Leser in Italien erfahren, was es heißt, ein Fußballspiel bei St. Pauli zu besuchen. Das Feeling soll rüberkommen. Denn ich denke, dass es schon anders ist, als das, was sich die Leute vorstellen. Als ich hier das erste Mal war, wurde mir klar, dass alles, was ich bislang über den Verein wusste, nur ein kleiner Teil davon ist. Das Buch soll im Januar oder Februar 2015 beim Indie-Buchverlag Bepress Edizioni erscheinen. Der übersetzte Titel lautet: „Rebellisch, Sozial, Romantisch“.


Dann haben wir jetzt alle einen Grund, schnell Italienisch zu lernen. Der Name klingt ein bisschen wie „Pirates, Punks and Politics“ von Nick Davidson, das erste nicht-deutschsprachige Buch über Sankt Pauli. Hast du es gelesen?


Ja, es hat mit sehr gefallen, insbesondere die Spielberichte. Ich fand es interessant, dort über die Geschichte St. Paulis zu lesen. Es hat mich in vielfacher Hinsicht inspiriert. Zudem habe ich daraus viele Informationen, für die mir die Zeit gefehlt hat, um sie selbst zu recherchieren.


Nick beschreibt auch die kritischen Seiten bei St. Pauli, die Diskussionen, die Widersprüche. Für ihn ist der Verein aber trotzdem ein role model in Zeiten von extremer Kommerzialisierung und dem Austausch des Publikums. Wie siehst du das?


Ich glaube schon, dass es eine Charakteristik des FC St. Pauli heute ist. Wenn man den Verein von einer Position außerhalb beobachtet und dabei die Italienische Fußballrealität im Hinterkopf hat, bleibt St. Pauli ein leuchtendes Beispiel für die Verbindung von Fußball, Gesellschaft und Politik. Auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass sich natürlich stets Dinge ändern. Die Veränderungen des Vereins passieren parallel zu den Veränderungen im Stadtteil, Stichwort Gentrification. Die romantische Zeit mit der Hafenstraße und den Punks, vielleicht war es eine spontanere und aufrichtigere Bewegung. Ein Kapitel des Buchs handelt vom Wandel der Kultur bei St. Pauli, der in einigen Bereichen auch kritisch zu sehen ist. Mein persönliches Fazit am Ende ist aber grundsätzlich positiv. Es gibt keinen Club wie den FC St. Pauli.


Das Publikum ändert sich, St. Pauli ist ein kommerzieller Club. Wie kann der Verein da ein Vorbild sein?


Vielleicht weil es wirklich kein anderes Beispiel eine derartige Verbindung zwischen Club, Fans und Stadtteil gibt. Auch wenn die Sozialromantiker gegen Kommerzialisierung kämpfen, gibt es doch einen Konsens bei den meisten wichtigen politischen und kulturellen Themen. Von außen betrachtet jedenfalls. In Italien zum Beispiel gibt es so etwas nicht. Clubs und Fans bewegen sich in parallelen Universen, die sich nie treffen. Denn sie finden keine Gemeinsamkeiten im kulturellen oder politischen Dingen. Die Clubs konzentrieren sich auf die Kommerzialisierung. Fußball wird als Industrie gesehen, das gefällt den Fans natürlich nicht. Die normalen Fußballfans in Italien sind wie in vielen Ländern Europas nur Kunden. In dieser Hinsicht bleibt St. Paul trotz der vielen Veränderungen ein leuchtendes Beispiel für Kultur und Politik.


Was gefällt dir bei St. Pauli nicht? Was könnte man besser machen?


Natürlich sind die Gentrification und Kommerzialisierung kritisch zu sehen. Die Fan-Shops werden zu Souvenirläden für Touristen. Sicherlich muss der Verein Geld einnehmen und unterstützt damit auch soziale Projekte. Doch ist der Verein da nicht groß anders alle anderen Vereine in Europa oder weltweit. In Mailand findet man auch haufenweise Milan- oder Inter-Stores. Das ist das Business. Vor dem Hintergrund der rebellischen Geschichte der St.-Pauli-Supporter kann man das vielleicht schon negativ sehen. Aber ich denke, nur in einigen Bereichen, nicht generell. Mir ist schon bewusst, und das will ich auch im Buch schreiben: Ich mag nicht, wenn St. Pauli als Mythos gesehen wird. Ein Mythos ist etwas abstraktes, etwas, das nicht real ist. Im Gegenteil ist St. Pauli sehr real. Mit all seinen guten und schlechten Seiten. Deshalb wollte ich ein Bild des FC St. Pauli aus der Sicht der Menschen darstellen. Die Beziehungen untereinander zum Beispiel, und dass nicht immer alle einer Meinung sind. Aber es ist eine großartige Sache, dass demokratisch gehandelt und gelebt wird. Dass es unterschiedliche Meinungen und Diskussionen gibt, aber auch einen Konsens auf der politischen und kulturellen Basis. Antirassismus, Antifaschismus, Freiheit, ein linkes Selbstverständnis. Es ist wichtig, dass die Leser diesen Teil von St. Pauli verstehen.


Was für ein Potential hat der FC St. Pauli in Italien?


(Hier springt Massimo in die Bresche) 2011/12 haben wir einem offiziellen Fanshop von St. Pauli Ware im Einkaufswert von ca. 10.000 Euro geschickt. Im Internet läuft auch sehr viel. Es gibt viel Potential, in Spanien oder Italien zum Beispiel. Wenn sich einer wirklich darum kümmern würde. Es gibt in Italien sehr viele Fälschungen. Das liegt auch daran, dass es am Angebot mangelt. Wir könnten auch positionieren, dass St. Pauli ein politisches Ziel hat. Ich habe Dutzende Anfragen, Freundschaftsspiele, Fangemeinschaften, aus Süditalien, Mittelitalien, Norditalien. Die wollen gerne her kommen, ein Mal das Stadion sehen, gegen die vierte, fünfte oder siebte Herren spielen oder beim Antira dabei sein. Das gleiche in der Schweiz, du weißt ja selbst, wie viele immer aus der Schweiz kommen, um St. Pauli zu sehen. Aus Frankreich – Marseille, Toulouse etc. -, die linke Seite geht mehr oder weniger zu St. Pauli bzw. würde kommen. Spanien sowieso, das Baskenland, Katalonien. Ungarn, Polen, ehemaliges Jugoslawien, Griechenland, Ungarn oder die USA. St. Pauli ist in den USA nicht präsent. Man könnte zum Beispiel zum College Fußball Kontakt aufnehmen. Wenn wir sagen, dass im Ausland nur 10 % erreicht sind, ist das viel zu wenig. Wirtschaftlich und als potentielle Gemeinschaft. Als ich im AFM-Vorstand war, hatten wir zahlreiche Mitgliedschaften gewonnen, um St. Pauli zu retten. Die ersten, die Mitglied bei der AFM wurden, waren Fans von Sampdoria Genua. Den Kontakt, der bis heute besteht, hatte ich hergestellt. Genau wie Ternana und Livorno. Aber es gibt noch andere Fanpotentiale. Das zweite wäre eine politische Beziehung. St. Pauli könnte auch zum Italienischen Fußballverband eine Verbindung aufbauen. Das tue ich seit Jahren alleine. Gerade da ist Potential, Projekte von St. Pauli umzusetzen. Vor allem deshalb, da es an einer vernünftigen Organisation dort mangelt. Wir sind in Italien auf dem tiefsten Stand seit wahrscheinlich immer angekommen. Deshalb könnten wir gerade heute dort ansetzen. Dann hätte St. Pauli das erste Mal außerhalb von Deutschland etwas erreicht. Fanladen, Fanprojekt, AFM, AGiM, diese Basis fehlt dort. In Italien haben wir einen Präsidenten. Die sind „Führer“, wie ich sie nenne. Alleingänger, die machen, was sie wollen. Und sie machen alles aus Eigeninteresse. Die Politik macht nichts dagegen. Der Fußballverband ist ahnungslos. Der neue Verbandspräsident will jetzt die Anzahl Nicht-EU-Spieler begrenzen. Politisch ist das ein Eigentor. Italien – vier Mal Weltmeister, jahrelang den Fußball geprägt – und heute stellt der so eine Idee vor. Das ist lächerlich! Was könnten wir machen? Alles! Ein Projekt von St. Pauli hätte freie Bühne, um erfolgreich zu sein. Selbstverständlich brauchen wir die politische Ebene, politischen Einfluss, und auch „Werbung“. Spanien das gleiche. Spanien hat den Vorteil, dass sie schon Mitgliedschaften haben. Athletic Bilbao ist ein eV. Barcelona ist ein eV. Italien hat dieses eV nicht. Die sind AG, eigene Nutzung. Auf meine Anregung hin wurden, auch von St.-Pauli-Fans, viele eigene Vereine als eV gegründet und eingetragen. Die haben St. Pauli als Beispiel genommen. Es sind mindestens 20, in Florenz, in Livorno, zwei in Rom, zum Beispiel Ardita San Paolo. Da kann man sich schon vorstellen, was wir für einen Einfluss haben. Atletico San Lorenzo, Lokomotiv Flegrea aus Neapel, Spartak Lecce, Bologna, Turin, Mailand..., um nur einige zu nennen.


(Nico) Das stimmt. Das passiert vor allem in Bereichen, wo die politische Bewegung stark ist. Die neugegründeten Vereine sind stark mit politischen Zusammenhängen verbunden. Das beeinflusst das Denken und die Organisation der Vereine. Dies passiert bislang nicht bei größeren Clubs, weil dort keine Vorstellung davon existiert, einen Verein auf diese Art zu führen. Die Welten der Fans und der Vereinsführungen sind komplett getrennt. Eine Verbindung ist schwer vorstellbar.


Aber wir kann der FC St. Pauli konkret vorgehen?


(Nico) Wie gesagt, St. Pauli ist kein Mythos, sondern Realität. Der Weg, unsere Politik und Kultur zu promoten, könnte vielleicht eher spontan oder unwillkürlich erfolgen. In Italien sind die oben genannten Clubs Realität. Sie haben das für sie beste aus der St.-Pauli-Idee rausgezogen, um ihr Ding zu machen. Oder die Anhänger in andern Ländern, sie sehen St. Pauli als positives Beispiel, in Sachen Fans, Organisation und der starken Bindung zum Stadtteil. Ich glaube nicht, dass die Italienischen Supporter jetzt mehr erwarten, als aktuell. Wie gesagt sehen die meisten Fans St. Pauli als Mythos. Vielleicht weil das Beispiel St. Paulis für politische Kultur und Attitüde eine größere Anziehungskraft ausübt als der Fußball.


(Massimo) Natürlich wünschen sich viele Fans auch den Aufstieg St. Paulis in die erste Liga, um dort langfristig zu bleiben und große Clubs wie Dortmund zu schlagen, und dann zu den Fußballverbänden zu gehen und zu sagen: Seht her, das ist der richtige Weg.


(Nico) Das sehe ich natürlich genauso.


Noch ein paar persönliche Worte zum Abschluss?


Vor allem erst mal danke für diese Möglichkeit. Ich habe mich über die Interviewanfrage sehr gefreut und es hat mich wieder ein Stück näher an die St.-Pauli-Community gebracht. Denn ich teile dessen Prinzipien und Ethik.


Der Kiezkieker sagt ebenfalls mille grazie, auch Massimo für den Kontakt. Wir warten gespannt auf das Buch und hoffen, dass es in Italien reißenden Absatz findet. Wer Nico kennenlernen möchte: Er ist beim heutigen Spiel (Braunschweig) wieder da und bleibt ein paar Tage. Hier noch ein paar Links:


St. Pauli Zena: www.stpauli.it

Ardita San Paolo: www.arditasanpaolo.it

Spartak Lecce: http://spartaklecce.blogspot.it

Atletico San Lorenzo: http://atleticosanlorenzo.it

Stella Rossa: http://www.stellarossa2006.it

ASD Quartograd: www.quartograd.it

ASD Brutium: http://brutiumcosenza.wordpress.com

Polisportiva Assata Shakur: http://polisportivassatashakur.wordpress.com

Afronapoli United: http://www.afronapoli.it

Centro Storico Lebowski: http://cslebowski.it



Sakari Momoi