Kiel punktet!

Aufgrund terminlicher Flexibilität und meteorologischer Gegebenheiten geht es nun doch nicht am Wochenende nach Wismar. Stattdessen verschlug es mich und meinen Drahtesel an die Kieler Förde, wo mich das dortige Straßenbild mehr als erstaunte. So sehr, dass ich mich gezwungen fühle, davon hier kund zu tun. Aber der Reihe nach:

Bis nach Schnelsen schon geschlagene sechs Mal von Automobilisten genötigt worden. OK, Nahtoderfahrungen sind Alltag auf Hamburgs Straßen. Entweder man kommt damit klar... oder man fährt besser mit dem HVV.

Quickborn. Ein Abbieger trachtet mir unbewusst nach dem Leben, aber ich rieche den Braten schon, drossel lieber das Tempo, statt unter dem SUV zu enden. Nun bemerkt er seinen Fehler und geht krachend in die Eisen. Ein etwas zotteliger Rentner glotzt mich mit Unschuldsmiene durch die Scheibe an. Ich erkenne ihn sofort: Carlo von Tiedemann! Wäre das ein geiler Tod gewesen - überfahren von Carlo, der alten Raute! Der war sogar mal Stadionsprecher im Volkspark, falls sich jemand noch erinnert. Mache jedoch aus meinem Herzen keine Mördergrube und gebe unumwunden zu, dass ich den alten Sack immer gemocht habe. Er zieht sich auch irgendwie durch mein Leben, denn in regelmäßigen Abständen läuft (oder fährt) er mir über den Weg.

Ich erinnere mich an Kindertage in den 80er Jahren, als ich triste Nachmittage auf dem Spielplatz verbrachte (Sandkiste, selbstgebaute Böller und der ganze Unsinn, den man halt so macht). Carlo wenige Meter weiter mit seiner Tochter an der Schaukel stehend würdigte uns und unserem mehr als dubiosen Pyro-Treiben keines Blickes, hatte genug mit sich selbst zu tun. Seine schlimme Kokain-Phase. Der Mann hat halt auch keine halben Sachen gemacht.

Bevor ich das noch weiter ausmale, machen wir da lieber für die kommende Printausgabe einen neuen Teil von "Korrekte Rauten" draus.

Bad Bramstedts Ortsumgehung gehört mit lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung bestraft! Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat, aber er muss Bad Bramstedt, alle Bad Bramstedter und alle Besucher Bad Bramstedts hassen wie die Pest. Trotz Google Maps komplett in die Falle gelockt worden und satte acht Kilometer Umweg kassiert. Peinlich auch, wenn man sich unbeobachtet fühlt, seinem Frust via kurzem Tobsuchtsanfall Luft verschafft, nicht zu knapp auf den Lenker einhaut... und dann doch eine Olle mit Hund hinter dem Baum hervor luschert und (nicht ganz zu Unrecht) von einem soeben begangenen Schwerverbrechen im angrenzenden Forst ausgeht, nun auch ein wenig um Leib und Leben fürchtet.

Neumünster werde ich nie begreifen. Ich mein.. was soll das? Kein Ruhmesblatt für ein Bundesland, wenn seine viertgrößte "Metropole" so ein hingeschissenes Etwas wie Neumünster ist.

Kiel hingegen war die Überraschung des Tages. Vielleicht insgesamt zehn Mal dort gewesen, meistens wegen Fußball, versteht sich. Als Hamburger tritt man gegenüber kleineren norddeutschen Städten generell gern überheblich auf. Man verlacht ihre Bewohner als Halb-Bauern und dergleichen. Lübeck hat immerhin noch eine (zugegeben) sehr schmucke Altstadt in der Hinterhand, Flensburg ist ja auch schon fast Dänemark... aber Kiel?!

Gut, in der Altstadt hat die Royal Air Force (wie Carlo!) keine halben Sachen gemacht, aber ansonsten ist es ein Irrglaube, dass Kiel hässlich sei. Außerdem ist die Landeshaupstadt deutlich Zweiradfreundlicher als die Freie Autostadt Hamburg. Dort muss man als Pedalist nicht ständig fürchten, in der nächsten Unfallstatistik zu erscheinen.

Nun aber zum eigentlichen Grund für diesen Beitrag. Huihuihui, da hat aber jemand seine Stadt im Griff! Zumindest optisch.

Wir lachen immer schnell über Holzbein Kiel und seine Anhänger. Jaja, Fischerhut-Fanszene, die ständig ihre Lappen verliert und so weiter und sofort. Aber auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Stadtverwaltung Kiel ganz offenbar ihr Straßenerscheinungsbild komplett egal ist und folgerichtig keinen Cent aufwendet, um beispielsweise Sticker von Mülleimern, Laternenpfählen oder Schildern zu entfernen, war ich verdutzt ob der Menge an KSV-Propaganda. In Hamburg werden die Mülleimer seit mehreren Wochen ja täglich gereinigt oder gleich ganz ausgewechselt, wenn mehr als ein Quadratzentimeter beklebt ist. Auf dem Kiez Milliarden von Glasscherben, überall in der Stadt Unmengen von Dreck in den Gebüschen... aber Hauptsache, die Mülleimer erstrahlen im saubersten Signalrot. Schildbürgerstreich. Wo war ich stehen geblieben?

Ach ja, KSV. Nicht nur die schiere Menge an Stickern, bemalten Stromkästen oder sonstigen Hinweisen auf deren Existenz hätte ich nicht erwartet, auch die Akkuratesse, mit der sie beispielsweise fast jeden Pfeiler mit blauweißrotem Klebeband umwickelt haben, war wirklich knorke. Zudem bis auf ein paar Insignien von lokalen Rauten in Kiel-Süd keinerlei Hinterlassenschaften anderer Vereine. Die Trottel von Hessen Kassel, mit denen die Störche bekanntlich liiert sind, mal ausgenommen. Selbst Hansa, in Bad Bramstedt und Neumünster noch omnipräsent, findet nicht statt.

Ich weiß, das mag nicht jeder hören, aber wenn man den Kieler Anhang von heute mit dem Anfang der 90er vergleicht, so hat dieser wirklich einen beachtlichen Sprung gemacht. Als wir da damals mit den Amateuren aufkreuzten war es auch interessant. Und lustig. Weil die Heimkurve aus zwei Dutzend vollends besoffenen Nazi- und Halbnazi-Clochards bestand. Faschos, die sich bereits vor langer Zeit bezüglich ihres Erscheinungsbildes haben gehen lassen, vermutlich teilweise schon diesen süsslichen Pennerduft angenommen und sich gern auch mal in voller Länge auf die kaputten Traversen gemault haben, damit der Gästeanhang auch was zu feixen hatte. Ach, das war schon köstlich. Allerdings nicht unterstützenswert.

 

Fassen wir zusammen: Kiel punktet. Muss ja nicht unbedingt in zwei Wochen sein, wenn der strauchelnde FC St. Pauli seine Aufwartung macht... heißt im Klartext: Versucht, sich irgendwie zumindest ein Remis zu ergaunern.

 

Noch ein paar hastige Fotos:

 

Eben lese ich, dass angeblich zumindest der Stehplatzbereich der neuen Osttribüne gegen uns geöffnet werden soll. Wie die das Teil binnen zweier Wochen aus einem mehr oder minder fertigen Baugerüst in einen begehbaren Block verwandeln wollen, ist mir völlig schleierhaft. Als ich da heute vor stand, hätte ich auf mindestens drei bis vier Monate Bauzeit getippt...