In the lonely streets of Hamburg

Es ist vermutlich eine ganz normale menschliche Eigenschaft, im Unglück auch immer das Glück zu suchen.

Dabei besteht jedoch stets das Risiko, Mitmenschen zu nerven, weil Krisen sich halt bei jeder oder jedem recht unterschiedlich auswirken.

Verbeamtete kinderlose LehrerInnen, die nun am Morgen nicht so früh aufstehen müssen, plagen natürlich weit weniger Existenz-Sorgen als Leute, die in irgendeiner Form von Veranstaltungen im öffentlichen Raum abhängig sind und womöglich schon jetzt ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können.

Doch darum soll es hier jetzt auch gar nicht gehen... sondern um einen Vorteil dieses Corona-Kacks, der mir eine vollkommen neue Liason mit meiner Heimatstadt bescherte.

Wer bald am Hungertuch nagt, weil das eigene Einkommen unweigerlich mit der hiesigen Tourismus-Industrie verzahnt ist, möge bitte weghören:

 

Wie geil bitte ist diese Stadt ohne Touris?!

 

Es kommt leider immer etwas xenophob rüber, wenn man sich negativ über Hamburg-Besucher mokiert. So, als ob sich Justin aus Schwedt an der Oder abfällig über Ausländer äußert, die er in seiner Platte am Stadtrand nicht tolerieren möchte.

Derlei Vergleiche hinken zwar wie Käptn Ahab, allerdings ist der Grundtenor natürlich ähnlich: Geht heim!

Meinetwegen darf der Fremdenverkehr ja auch wieder irgendwann Fahrt aufnehmen... aber ohne diese hamburgische Gierlappen-Mentalität, die die Stadt  (und in aller erster Linie den Hafenrand) in eine Art Disney-Resort verwandelt hat. Dieses Hofieren von grotesken Dummbatz-Veranstaltungen. Wenn ein Hafengeburtstag nicht mehr reicht, deswegen Cruise Days erfunden werden, Hunderttausende das gemeintschaftliche Inhalieren von Schwerölverbrennungsrückständen für sinnvolle Nachmittagsgestaltung halten. Schlager-Move, "Malle für alle" in der Fischauktionshalle. Halb-Marathon, Marathon, Triathlon, Cyclassics (die letzten vier wenigstens mit wenig Lärm und ohne Abgase..)... immer vor meiner Haustür. Eurovision Song Contest, Harley-Days, tausende Musical-Busladungen, die abertausende Provinzler ausspucken. Nicht zu vergessen auch der Pöbel, den der Dom drei Monate im Jahr anlockt, diese unsäglichen Junggesellen-Abschiede samt Trottelkostümen.... uuuuaaaaaaahhhhh! Fuck!!!

 

Und nun ist alles ruhig, beinahe ausgestorben. Und besonders still ist es an den Ecken, die Einheimische seit vielen Jahren nicht mehr aufsuchen, weil es normalerweise einfach keinen Sinn mehr macht. Landungsbrücken, weite Teile des südlichen St. Paulis, aber auch viele Bereiche in der Innenstadt entwickeln plötzlich einen ganz neuen Charme.

Wenn ich dann dort kurz Halt mache, kommt bisweilen so ein schwer zu beschreibendes "80er/90er-Jahre-Gefühl" auf. Denn manche Szenarien gleichen plötzlich wieder dem Hamburg, wie man es aus Kinder- bzw. Jugendtagen kennt. Beschaulicher, unaufgeregter, symphatischer.

 

Und kaum bleiben die Gäste weg, wird richtig deutlich, wie beispielsweise diese Airbnb-Mafia hier die Mieten nach oben getrieben hat, die nun - wenn all deren Angebote plötzlich auf dem regulären Markt landen - plötzlich nicht mehr abzupressen sind, was zu einer spürbaren Entspannung auf dem hiesigen Sektor führt.

 

Ich will natürlich auch den Fußball zurück und wieder entspannt einkaufen können, ohne bei jedem Räuspern anderer Kunden immer gleich zu mutmaßen, ob das nur Symptome eines klassischen Raucherhustens oder doch die ersten Pandemie-Anzeichen sind....  aber bis dahin müssen halt die Perlen aus der Kloake gefischt werden, um halbwegs optimistisch zu bleiben.