Mesdames et Messieurs: Le Kjergen!

 

Die Beschissenheit der Dinge oder Tour de Farce

 

 

 

Endlich Sommerferien: Sommer, Palmen, Sonnenschein, was kann schöner sein? Urlaub in Frankreich zum Beispiel. Schön am Strand abhängen und mal wieder ein gutes Buch lesen? Und auch wer nicht auf Larifari und laissez-faire steht, ist im Nachbarland richtig aufgehoben. Seit 1903 findet dort die weltgrößte Freiluftveranstaltung der Medikamentenindustrie statt, noch vor der Fusion. 180 Asthmatiker versuchen auf ihren ultraleichten Eierfeilen die Berge der Provence zu erklimmen und dabei möglichst viele leistungssteigernde Medikamente in ihren Organismus zu inkludieren. Tour de France nennt sich das Ganze und ist nach Olympia und der FIFA-WM das drittgrößte Sportereignis der (!ACHTUNG!) Welt. Worauf ich hinauswollte? In dem guten Buch: Die Beschissenheit der Dinge von Dimitri Verhulst verbindet einer der Hauptprotagonisten, namens Potrel, das Angenehme (nämlich Saufen) mit dem Notwendigen (ebenfalls Saufen) bzw. enttarnt das eigentliche Ziel der Tour; nämlich die Krönung der König:innen des unverhohlenen Mißbrauch von Genussmitteln. Dafür scharrt er die Dorf-bekanntesten Trinker:innen in einem Wohnwagen um sich, um die 19 Etappen auf einem Spielbrett abzufahren. Jede:r Teilnehmer:in hat eine eigene Figur. 5 Kilometer entsprechen dabei einem alkoholischen Getränk, wobei sich alle für Bier entscheiden. Die erste Etappe der Tour 2020 hat 156 km, was etwa 32 Bieren entsprechen würde, die getrunken werden müssen, um überhaupt am Ziel anzukommen und am nächsten Tag (!) weiter fahren zu dürfen. Wer es nicht schafft, ist raus. Wie im echten Leben! Verstanden? Bier auf, Bier rein, ich klink mir alles rein! Bier auf, Bier rein, wie Miguel Indurain! Bis zum ersten Ruhetag nach 9 Etappen müssen demnach 306 Biere getrunken werden (ca. 34 Bier/ pro Tag an neun Tagen hintereinander). Aber als ob das noch nicht genug wäre, werden analog zur Rundfahrt natürlich auch die Sprint- und Bergfahrten im Klassement gewürdigt, denn dem Protagonisten geht es um die Krönung des “Vollkommenden”. Schon auf der zweiten Etappe von Amiens nach Chartes (195 km oder 39 Bier) stehen (im Buch) zwei kleine Steigungen auf dem Programm; 2 Trappistenbiere von je 10%. Wer die als erster weg hatte, durfte das gepunktete Trikot der Bergziegen tragen. Die Sprints wurden wie folgt berechnet: Wer zuerst eine bestimmte km-Marke erreichte/ Menge an Bier getrunken hatte, bekam eine Zeitgutschrift. Dabei musste taktiert werden. Liegt die Marke bei 20 Bieren (von insgesamt 39) muss ich abwägen, ob ich schon bei Nummer 17 mit dem “Sprint” beginne oder abwarte, um danach nicht komplett einzuknicken. Nach Sport klingt das nicht, aber das ist die Tour auch nicht mehr. Soweit die graue Theorie, hinein in die bunte Praxis:

 

 

Die Zone der Entscheidung kam näher, die imaginären Berge dräuten am Horizont, die Gipfel der zweiten und dritten Kategorie warteten auf das Spektakel. Die Fahrt nach Mourenx, über die Gipfel des Aubisque und des Tourmalet. Ein leichter Anlauf von drei Pils. Danach ein schwieriger Parcours von sieben Gläsern Wein. Weiß oder rot, man durfte wählen. Und dann ging es los. Ein Glas Tequila, ein Meskal, dann eine halbe Flasche Whisky. Bei der Abfahrt vier Gläser Wasser und ein halbes Glas Milch, um die Leute zu ärgern, und dann zum zweiten Gipfel: die andere Hälfte der Flasche Whisky. Wenn man ehrlich war, alles in allem eine kurze Etappe. Doch was für eine […] Niemand weiß, was unseren Potrel an jenem Morgen um zehn Uhr beseelte, wie von einer Tarantel gestochen aus den Startlöchern zu schießen. Bis dahin hatte er seine Kräfte immer gut eingeteilt. Er las den Kurs, wie Kenner zu sagen pflegen. An jenem Morgen jedoch fuhr er wie von Höllenhunden gehetzt den Aubisque hinauf, während die anderen Fahrer (bleiben wir noch einen Moment in den Begriffen des echten Radsports) gewissermaßen noch gemächlich ihre Bananen schälten. Berauscht von der Legende, begeistert von der Idee. Oder war ihm der Whisky plötzlich zuwider, dass er ihn so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte? […] In den Augen der Anwesenden machte sich der Unglauben breit. Es war übermenschlich. So übermenschlich, dass es bestialisch wurde. Dies war die ins Alkoholische gewendete Verschmelzung aus Eddy Merckx, Fausto Coppi, Jacques Anquetil, Odile Defraeye und noch einigen ungenannten, schauderhaften Ingredienzien zu einem furchterregenden Monster. Er nahm sich nicht mal mehr die Zeit, draußen an den Caravan zu pinkeln, er pisste einfach in die Hose, um keine Zeit zu verlieren, hastete ins Tal hinab und bereitete sich vor, den Tourmalet anzugreifen. Ein Potrel außer Rand und Band, vollkommen entfesselt. Im Hauptfeld versuchte man nicht einmal mehr, die Verfolgung dieses mephistophelischen Fahrers aufzunehmen, man nippte gelassen am Whisky und fragte sich eher, ob dieser Berserker der Radpiste auf den letzten vierzig Kilometern noch einen Zahn zulegen würde.

 

 

 

Bjergen motherfuckin´ Kjergen