1. Teil: Einleitung

Wie vorgestern angekündigt: Eine mehrteilige und mehrtägige Serie über mein Spezial-Fachgebiet, die Kurven-Ästhetik aus Epochen, in denen noch die Freiheit der Nonkonformität herrschte. Eine Zeit, als Jugendliche die (damals noch präsenteren) popkulturellen Einflüsse nicht nur auf sich wirken ließen, sondern in ihre Kurven transportierten.

Ich bin natürlich auch nicht ganz blöd: Hätte es in den Achtzigern schon Smartphones, diese scheiß E-Scooter oder social media gegeben, wäre ich das letzte Kind gewesen, dass sich dagegen gewehrt hätte. Trotzdem empfinde ich es als Glücksfall, die eigene Jugend nicht in nennenswerten Teilen bei Facebook, TikTok oder Instagram verbracht zu haben... sondern vor der Glotze. Die ersten 13 Jahre mit nur drei Kanälen (und DDR1 mit starkem Rauschen).

Aber kommen wir zum runden Leder:

 

Die Fans waren früher begeisterungsfähiger. Egal ob nun in Deutschland, Italien oder sonstwo. Dafür gibt es diverse Gründe wie beispielsweise das niedrigere Durchschnittsalter auf den Rängen oder die viel größere Vorfreude auf das Spiel, weil Heranwachsen damals auch oft mit Phasen zermürbender Langeweile einherging. Alle waren irgendwie hungriger, nicht annähernd so reizüberflutet wie heutzutage.

Mittlerweile spult die Mitte der meisten Fankurven ihr Programm herunter, während der Rest des Stadions eher wie Kundschaft wirkt, die kein messbares Maß an (echten) Emotionen aufbringen kann. Wenn ich so etwas sehe und höre, stellt sich sofort dieses Gefühl von Stumpfsinn und Eintönigkeit ein, das damals immer aufkam, wenn du aufs Testbild mit Piepton geglotzt und auf den Sendebeginn gewartest hast. Mal ehrlich... gibt es irgendetwas monotoneres und abwechslungsärmeres als das, was Ultras weit und breit in ihren Kurven machen? Choreo- und Spruchbandpathos, der nicht selten schnulziger ist als Heimatfilme mit O.W. Fischer aus den 50ern. Pyro-Aktion zum Anpfiff der zweiten Hälfte? Gähnen bis zur Kieferstarre.

17 Heimspiele in einer Saison. 17 Gelegenheiten, um Unvergessliches, Unerwartetes, Verwirrendes oder auch Verstörendes zu starten, mit dem nun wirklich niemand gerechnet hatte. Die Antithese zur Gebetsmühle. Der Gegenentwurf zu allem Ritualisierten. Ein paar begabte Leute, Nachdruck und Mut zum Wahnsinn sind die Zutaten, die nötig wären, um jede noch so dröge Partie gegen Sandhausen an einem nieselregengetränkten Sonntag im November zu einer Art Happening zu machen.

Na geil, bereits bei der Einleitung vom eigentlichen Thema abgedriftet. Liest überhaupt noch irgendwer hier mit?

 

Fankultur gibt es genauso lang wie den organisierten Fußball selbst. Choreos und vergleichbare Aktivitäten, Supporters und Ultras, die damals halt nur noch nicht so hießen. Als noch Sonntagsanzüge getragen wurden:

 

Milan gegen Genoa 1950/51:

Aber ich will ja über Kurvenoptik schwadronieren. Meiner Meinung nach gibt es eine Initialzündung: Die Sergio Leone-Spaghetti-Western, die Clint Eastwood Mitte der 60er den Durchbruch bescherten. Für eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr und Zwei glorreiche Halunken. Durch diese drei Streifen wurde eine komplettes Genre losgetreten, das mit seinen hunderten Filmen und Filmchen völlig unterschiedlicher Qualität eine ganze Generation junger Leute geprägt hat, als das amerikanische Westernkino seine beste Zeit schon zehn bis fünfzehn Jahre hinter sich hatte.

Bud Spencer und Terence Hill haben ihre Karrieren auch nicht als lustiges Komiker-Duo begonnen, sondern die ersten Jahre (halbwegs ernstgemeinte) djangomäßige Filme gedreht. Ennio Morricone bei den Italo-Western, Oliver Onions bei den Bud Spencer-Filmen... was für eine grandiose musikalische Untermalung. So gut wie keine klassischen Westernschriften mehr. Die Fonts waren plötzlich völlig andere, entsprachen der damaligen Mode. Eine Optik, die fortan die Bildsprache der Fan-Banner, Textilien, Kleber und dergleichen auf dem Stiefel diktierte.

Diese (in meinen Augen) wunderbare Banner-Kultur war dort aber auch durch verschiedene Faktoren begünstigt: Sehr viele "Leichtathletik-Stadien" mit Laufbahn, was immer gleichbedeutend mit mehr Zauhnfahnenplatz ist. Viel weniger Werbebanden im Zuschauerbereich, da diese auf der Tartanbahn standen. Zahlreiche große Stadien, die nur sehr selten mehr als halbvoll waren, was wiederum mehr Bewegungsfreiheit mit sich brachte.

Ich mein... so öde sieht inzwischen die Juve-Kurve aus. Verunstaltet durch Tricolori und den drögen Drughi-Style:

Und so schön war das Ganze 45 Jahre früher. PANTHERS auf der Zaunfahne, Panther auf dem Schwenker, keine Italienfarben, nur Bianconeri:

Stadio Comunale, aus "Ultras-Sicht" durchaus ein magischer Ort. Juve - Vicenza 1971/72:

Noch ein paar Impressionen anderer großartiger Fallbeispiele:

Selbst rechte Gruppen hatten noch sehr aparte Beflaggung. BOYS SAN Inter Mitte der 70er in Bergamo:

Die Heimkurve bei der Partie:

Die selbst entworfenen Totenköpfe sind einfach dufte:

Ich mag mir das einreden, aber auch die Leute sahen irgendwie besser aus als diese Stone Island-Affen, die inzwischen Kurven bevölkern:

Ich muss für heute auf die Zielgerade kommen und mache hier spätestens übermorgen weiter. Zum Abschluss noch ein paar Sticker.

Rechte Scheiße war irgendwie auch geiler gemacht:

Noch ein Beispiel für die gewagte Verknüpfung von Om-Zeichen und mehr oder weniger latenter Gewaltandrohung: