2. Teil: Andere Aktionsformen

Im ersten Teil ließ ich mich negativ darüber aus, dass mich die Fankultur generell oftmals langweilt. Das liegt natürlich vornehmlich an den eigenen Abnutzungserscheinungen, aber eben auch darin begründet, dass die "Einigung auf einen gemeinsamen Nenner", also das, was alle zusammen gleichzeitig immer und immer wieder zu tun pflegen, kein guter Nährboden für progressives Denken und Handeln ist. Kann auch keinerlei inhaltliche Weiterentwicklung während der letzten zehn Jahre feststellen. Eher ist das Gegenteil der Fall, weil viele Ultras-Gruppen in Deutschland und dem Rest der Welt viel weniger an Dingen mit Esprit und Witz interessiert sind, sich stattdessen nur noch durch stumpfe Gewalt zu profilieren versuchen. Das vermag Halbstarke mit Testosteronüberschuss natürlich in seinen Bann zu ziehen, doch für mich fällt da nichts bei ab - von gelegentlicher unfreiwilliger Komik vielleicht mal abgesehen.

Auf den Gebieten, bei denen Kreativität gefragt ist, herrscht Magerkost. Mancherorts singt die ganze Kurve mit oder hüpft das komplette Stadion, schon klar. Mir ringt das nur ein Gähnen ab, weil alles schon tausendfach gehört und gesehen. Groß und geschlossen ist ein Hektar Raps-Feld auch, aber auf einem Quadratmeter Regenwald existiert ein Vielfaches an Bio-Diversität.

Wäre es möglich, die Uhr etwa zwanzig Jahre zurückzudrehen, würde ich das ganze Ultrà-Getue von damals nicht wiederholen, nicht nochmal allen diesen "Italo-Schuh" überziehen, sondern - mit dem Wissen von heute - eine ganz andere Form von "Stadionbande" wählen. Eine anarchischere Gruppe ohne Dauersingsang, "Schulhof-Kodizes" und Ritualen, die im Grunde nur dazu dienen, postpubertäre Pyromanie zu adeln.

"Guckt alle her, ich habe Feuer gemacht" langweilt schon bei verfilmten Robinsonaden, muss ich echt nicht auch noch im Stadion haben. Interessant wird es nur noch, wenn sich irgendwer dabei die eigenen Zaunfahnen ankokelt und der Häme preisgibt.

Genau hingeguckt habe ich heute bei den Berichten über die Exstinction Rebellion-Aktion in Bad Segeberg. Meine ökologischen Fußabdrücke sind winzig klein, denn ich lege wirklich alle Wege mit dem Rad zurück, heize schon seit Jahren nur eines der zweieinhalb Zimmer und esse keine Avocados. Dennoch sind mir militante Formen von Umweltschutz eher suspekt, denn ganz ehrlich: Für die Kinder von Freunden und Bekannten tut es mir noch am ehesten leid, aber ansonsten ist mir das ziemlich schnuppe, ob die Menschheit dem Planeten in dreißig, fünfzig oder hundert Jahren komplett den Rest gibt und sich selbt dabei auslöscht. Ich möchte noch eine Weile eine gute Zeit für mich, was danach mit dem Rest geschieht, juckt mich wenig. Eines ist sicher, die Sintflut wird unweigerlich kommen.

Zurück zu Winnetou und Co:

Sich einzuschleichen, zu kostümieren und dann - vor versammelter lokaler Prominenz - den Ablauf dieses aus Adenauer-Zeiten übrig gebliebenen Unsinns zu stören, hat seinen Reiz. Seine eigenen Flossen mit Epoxidharz auf den Asphalt der Autofahrer zu kleben ist zwar auch ganz ulkig, hatten wir jetzt aber schon einige Male.

Beim Fußball würde ich mir eine Bezugsgruppe wünschen, die einen Spieltag nicht in buchhalterischer Manier abarbeitet, sämtlichen Ideenquellen durch Kurven-Konventionen den Hahn abdreht, sondern Freiräume lässt. Raum für Spaß und Spontanität. Unzählige Male wurde ich Zeuge, dass die laufende Partie absolut perfekte Steilvorlagen geliefert hat, die von den Fans (quasi frei vor dem Tor stehend) nur noch verwertet werden mussten, dann aber von dem "mantraähnlichen" Gesang abgebügelt wurden. Immer wieder enttäuschend, weil man sich selbst daran die Schuld gibt, es damals in der Hand hatte, etwas viel Erquickenderes zu schaffen, das einem zwei Dekaden später nicht auf den Keks geht.

Das ist Euch alles zu abstrakt? Okay, ich versuche es konkreter.

Gute Gags müssen zum richtigen Zeitpunkt präsentiert werden und brauchen stets ein gewisses Maß an Vorbereitung. Klingt nach einem Widerspruch, weil eben auch buchhalterisch, aber ganz ohne Drehbuch geht es nicht.

Niemand erinnert sich an eine bereits unzählige Male gezeigte braunweiße Fähnchenchoreo, bei der auch noch immerfort die selben Utensilien zum Einsatz kommen. Drei Tage vorher mit Leuten treffen, die inhaltlich auch etwas beitragen und nicht nur mundfaul die Couch platt sitzen. Mögliche Szenarien der bevorstehenden Begegnung skizzieren, geeignete Reaktionen planen und diese dann in den kommenden Tagen umsetzen. Wenn in der 89. Minute unser Siegtreffer fällt und du umgehend ein großes Konterfei des Torschützen mit passendem Matchwinner-Spruchband präsentierst, kriegt niemand mit, dass du die Bilder der anderen Offensivspieler auch noch auf Lager gehabt hättest. Derart billige Taschenspielertricks, um zum richtigen Moment die Sahne auf die Torte zu streichen, gibt es diverse, so dass die Wahrscheinlichkeit einer durch und durch gelungenen Aktion pro Spiel ziemlich hoch ist, sofern der Spielverlauf einem nicht völlig die Tour vermasselt. Einfach mal zulassen, dass Support auch Kreativ-Pausen macht. Du brauchst in der Mitte der Kurve eine Art Koordinationskollektiv, das nicht nur darauf erpicht ist, das eigene Programm abzuspulen, sondern auch auf den Rest des Stadions achtet. Gerade an den Flanken der Süd, also einem Bereich der nicht all zu weit entfernt ist, schlummert einiges an Potenzial, das sich gut einbringen könnte, sich aber kein richtiges Gehör verschaffen kann.

 

Demnächst weiter in dieser Angelegenheit. 21 Uhr, ich habe Hunger, muss mich nun um mein Abendessen kümmern...

 

Als Rauswerfer noch ein ganz drolliges Video, das mit eben erwähnten Themen rein gar nichts zu tun hat. Die Mucke haut mich nicht vom Hocker, aber lustig ist er ja, der Liam: