Quellenforschung...

... ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber heute geht es hier um die Frage, warum der Support am Millerntor so ist, wie er ist.

Um es vorweg zu nehmen, einer der Hauptschuldigen schreibt das Ganze hier gerade, gesteht aber - mit entsprechendem zeitlichen Abstand - alle Missetaten ein. Denn daraus, dass mir der übliche Vortrag nicht mehr zusagt, mache ich ja nicht erst seit gestern gar keinen Hehl. Mir fehlt es einfach an Weiterentwicklung, Spontanität und Raffinesse. Es gibt Leute, die können dreißig Jahre lang in der selben Kneipe mit der selben Jukebox mit den selben 99 Liedern (viermal allein Roland Kaiser) saufend die Abende verbringen, ohne sich zu langweilen. Mir ist das ein Graus.

Aber wie kam es dazu, dass das Gesangsrepertoire immer und immer wieder quasi deckungsgleich abgespult wird? Die Beantwortung dessen ist durchaus knifflig, vereinfacht gesagt vermutlich die unheilige Allianz aus fehlender Kreativität, Mangel an Selbstbewusstsein in Anbetracht der Tatsache, dass du mit nicht Vertrautem auch kläglich scheitern kannst und einem generell nicht vorhandenen Problembewusstsein, weil alles schon sooo lange so läuft.

Den Weg will ich heute aber gar nicht gehen, sondern an der Gabelung anders abbiegen.

Wo kam das her mit dem Support, den die PASSANTEN schon ab 1996 ausprobierten, CARPE DIEM etwas später aufgriff und bei USP ab 2002 dann zum Standardprogramm wurde, das zwanzig Jahre später in weiten Teilen immer noch so läuft?

Aus Duisburg. Ja, aus Duisburg. Ältere werden sich vielleicht noch an MSV-Fan Michele erinnern. Das war eine landesweit in Fankreisen bekannte Person, der auch so Fanzinegeschichten gemacht hat, wenn ich mich richtig erinnere. Von dem hat unsere heutige Vize-Präsidentin irgendwann zwei Audio-Kassetten bekommen, die schließlich in meinen Händen und meinem Kasendreher landeten. Schreckliche Tonqualität, dutzendfach überspielt, an manchen Stellern leiernd, an anderen von einer Reggae-Tonspur überlagert. Und dennoch so wertvoll wie ein faustgroßes Nugget, das einen Goldsucher plötzlich aus der Waschpfanne anlächelt. Original Kurven-Mitschnitte aus Italien. Romas Curva Sud im UEFA-Cup-Final-Rückspiel 1991 gegen Inter und der Atalanta-Auswärtsblock beim Derby in Brescia 1986/87.

Von dem Finale, das Inter letztlich gewann, stammt die fixe Idee, dass es durchaus möglich ist, die gesamte Spielzeit zu besingen, indem verhältnismäßig wenige Songs seeeehr in die Länge gezogen werden, mal leiser werden, dann jedoch. sofern der Spielverlauf irgendwas hergibt, auch wieder an Fahrt gewinnen. War ich zunächst auch sehr von überzeugt, halte ich aber längst für eine Sackgasse. Wir spielen halt nicht in europäischen Finals. Wir spielen eher an nasskalten Sonntagen zu viel zu früher Stunde gegen Sandhausen oder Heidenheim. Gepaart mit norddeutschem Temperament, das nicht im Verdacht steht, zu extrovertiert zu sein, geht die Gleichung niemals auf. Vor zwanzig Jahren nicht, vor zehn nicht und heute ebenso wenig.

Die Atalanta-Aufnahmen waren ganz anders. Kein Song länger als dreißig Sekunden, dafür aber allein zehn verschiedene Klatschrhythmen und bestimmt fünfundzwanzig unterschiedliche Lieder. Aber keinerlei Mantraähnlichkeit, immer wieder kleine Pausen, in denen einfach nur gepöbelt oder irgendein Unsinn gemacht wurde. Von diesem Liedgut landete bestimmt ein Drittel schließlich am Millerntor. Manche Songs werden noch heute gesungen.

Meine Fresse, was habe ich diese beiden Bänder gehütet - wie einen dritten Augapfel.

Die Curva Sud-Mitschnitte stammen von einer RAI Tre-Doku anlässlich des inneritalienischen Finals. Gibt es nur Fragmente von bei Youtube, aber hey: Der Eis-Schlecker. Oh, wie geil ist den der bitte?!

Von dem lombardischen Derby konnte ich keine Fanaufnahmen im Netz finden, nur das Tor des Tages:

Dafür fand ich heute etwas ungefähr Vergleichbares, wenngleich etwa zwei Schulnoten schlechter. Aber der Style mit ständig wechselnden Liedern ist schon ähnlich. Lecce gegen Bari 89/90. Spätestens zur Hälfte des Mitschnitts wird es aber sehr unschön, weil die ganze Kurve die beiden damals aktiven dunkelhäutigen Bari-Profis mit widerlichen Affenlauten zu verhöhnen versucht. Lecces Fanszene ist nicht unbedingt für solche Scheiße bekannt, aber damals war als alles, was als "apolitisch" kategorisiert wurde, mehr oder minder rassistisch. Selbst in linken Kurven mit Che Guevara und pipapo war ein unterschwelliger "Grundrassismus" nicht wirklich eine Ausnahme. Somit eine Parallele zum gestrigen Beitrag: Nicht alles war früher besser.

Ach, fast vergessen. Der erste Kontakt mit dem Style fand eigentlich schon Jahre früher statt, als ich das hier das erste Mal sah: https://youtu.be/rjWZFcJ9Yi4?t=386