Jetzt habe ich mal eine Nacht darüber geschlafen, diverse Kommentare über die schultzsche Beurlaubung gelesen, versucht, mir eine halbwegs fundierte Meinung zu bilden. Und bin letztendlich ziemlich überzeugt davon, dass diese Entlassung falsch war. Falsch zu diesem Zeitpunkt, weil Monate zu spät.
Vorweg muss ich sagen, dass ich diesem Verein seit fast 40 Jahren - also seit Grundschultagen - anhänge, weshalb gerade auch auf emotionaler Ebene gewisse Abnutzungserscheinungen nicht zu leugnen sind. Und damit meine ich vor allem den zwischenmenschlichen Bereich. Wer seine Treue, Liebe, was auch immer für Gefühle an einzelnen Spielern, Trainern oder anderen Funktionsträgern festmacht und untrennbar verknüpft, mag womöglich hehre Ziele verfolgen und ein honoriger Mensch sein, wird von mir aber nicht ernst genommen. Eine Internet-Petition, damit der frisch Geschasste wieder in sein vorheriges Amt gehievt wird? Da hat doch jemand den Schuss, oder nennen wir es besser das Bombardement, nicht gehört.
Timo Schultz kann sich mitnichten darüber beschweren, nicht genug Vertrauen und Zeit der Bewährung erhalten zu haben, denn es gibt eben seit einiger Zeit nur etwa eine Hand voll Profi-Vereine, die so konsequent den üblichen Gepflogenheiten rund um den Übungsleiterposten zuwider handelt, wie es der FCSP tut. Wie er es bei Ewald Lienen und bei Timo Schultz tat, die beide jeweils eine dasatröse Hinrunden-Bilanz aufwiesen und die dennoch nicht in die Wüste geschickt wurden, was sich ja auch in beiden Fällen als sehr gescheiter Zug erwies.
Über die Art und Weise der Verabschiedung vor versammelter Presse könnte er sich hingegen durchaus beschweren, denn dieser stilistisch unsaubere Seitenhieb durch Auflistung sämtlicher vermeintlicher Verfehlungen hätte sicher nicht sein müssen. Hat mich persönlich auch irritiert, denn solch ein außendarstellerischer Lapsus ist hier ja doch eher selten zu beklagen.
Ob ein Trainerwechsel zum jetzigen Zeitpunkt Sinn macht, bleibt bekanntlich noch für einige Zeit spekulativ, denn darüber kann nur der Start und der Verlauf der Rückrunde Auskunft geben. Ein wenig bange wird mir jedoch beim Blick auf die derzeit gehandelten potentiellen Nachfolger, denn Namen wie beispielsweise Florian K. aus B. sorgen für Grimmen im Leib. Allein der Gedanke an den treibt mir Grönemeyers "Was soll das?" in den Gehörgang. Der einzige der kolpotierten Aspiranten, der einen gewissen Reiz versprüht, ist Horst Steffen. Was der da auf seine vergleichsweise alten Tage mit Elversberg abliefert, grenzt ja durchaus an Übermenschlichkeit.
Der Mann, den ich aber noch viel lieber am Millerntor gesehen hätte, ist Alexander Zorniger, der nun leider seit ein paar Monaten in Fürth sein Brot verdient. Als der Wechsel bekannt wurde, habe ich die Kleeblätter gedanklich sofort aus dem Kreis der Abstiegsgefährdeten gestrichen, weil ich seit langem davon überzeugt bin, dass es sich um einen der besten Coaches hierzulande handelt.
Der war auf dem Markt. Und wer an den Ronhof zum Tabellenletzten der zweiten Liga geht, hätte sicherlich auch beim FC St. Pauli unterschrieben. Wir jedoch gewinnen das Derby. Balsam für die Seele, aber auch Blendwerk, das den Blick verstellt bzw. die Handlungsfreiheit einschränkt.
Im Stadtduell nur ein trostloses torloses Remis, dann die Entlassung über die Bühne bringen, neuer Schwung, ein bis zwei Auswärtssiege einfahren und mit mindestens 21 Zählern in die Pause gehen. Das wäre vermutlich das bessere Drehbuch gewesen.
Wie gesagt, der Derbyfluch hat viele Gesichter.
Oder komm, scheiß drauf, lass uns doch nochmal mit harten Drogen anfangen, unsere süßsauer geschwollenen Körper bis zur völligen Extase aneinanderreiben... und Stefan Effenberg eine zweite Chance im Trainerberuf geben. Doch halt, was muss ich da gerade lesen? Der wird tatsächlich beim DFB als Oliver Bierhoff-Nachfolger gehandelt. Die harten Drogen hat also ganz offenbar schon jemand anderes genommen...