Guten Abend! Heute musste ich erst einige Minuten grübeln, womit denn nun die tägliche Bringschuld hier erbracht werden kann.
Ein probates Mittel ist es, die jüngsten Fotos auf dem Handy durchzugehen, denn meistens reicht das bereits, um einen Aufhänger für einen Beitrag zu finden.
Mir fehlen die Subkulturen, mit denen ich in den 80ern aufwuchs. Vielleicht täuscht der Eindruck, weil sich Nonkonformität mittlerweile womöglich weniger im optischen Erscheinungsbild niederschlägt, doch gefühlt sind 99 Prozent aller Jugendlichen inzwischen "gleichgeschaltet".
Von '85 bis '89 besuchte ich ein altsprachliches Gymnasium in einem gutsituierten Teil dieser Stadt.
All der Hass, der mein späteres Leben irgendwie prägen sollte, wurde dort aufgestaut. Die FDP-Kinder, die beschissenen Popper, das elitäre Getue dieser hochnäsigen Wichser.
Die ersten beiden Jahre war ich dort ein unauffälliger Schüler mit sehr ordentlichen Noten, wenngleich das Konjugieren und Deklinieren des Lateinischen selbstredend mürbe machte. Auf manches damals Erlernte greife ich allerdings noch heute zurück. Eine Erkenntnis, die erst viele Jahre später reifte.
Aber selbst unter den etwa 500 Schülerinnen und Schülern waren zu der Zeit etwa 10 Prozent "Aussätzige". Kids, die sich gegen den Lebensplan ihrer reichen Eltern wehrten. Wenn diese 13 oder 14 wurden, ging die Revolte spätestens los, wurde sich optisch, musikalisch und nicht selten auch handgreiflich aufgelehnt.
In den großen Pausen sah ich Punks, Skins, Grufties, Metaller und einen Ted, der zwangsläufig bei allen mit seinem Musikgeschmack aneckte, weil Elvis und Konsorten auch damals schon eher out waren.
Einer Punkerin namens Clara, die zwei Klassen über mir war, kann ich jetzt ja Dekaden später unumwunden meine Liebe gestehen, was ich mich 1988 - Ihr ahnt es vermutlich - nicht traute. Seufz! ;)
Andererseits hatten die FDP-Eltern auch nicht ganz Unrecht, denn hätte ich mich in ihr Weltbild knechten lassen, nicht nur mit den Unangepassten abgehangen, wäre aus mir (finanziell) später wahrscheinlich was geworden. Scheiss drauf! Einen dicken Haufen!
Bin nun bereits seit über 10 Jahren komplett "verwaist", aber immer dann, wenn in Gesprächen die eigenen Eltern ins Spiel kommen, vergesse ich nicht zu erwähnen, großes Glück gehabt zu haben, weil meine wirklich cool waren. Mein alter Herr beispielsweise war nicht arm, hat immer gut gelebt, sodass letztlich leider auch kein wirkliches Erbe zustande kam, und war trotz Selbstständigkeit, Firma mit Angestellten und pipapo ein Anhänger des linken Flügels der Sozialdemokratie, was damals ja durchaus noch was hieß. Als Kind habe ich nicht verstanden, warum der eigene Vater abends um acht oftmals so in den Fernseher geschrien hat, dass Spucke auf dem Bildschirm landete. Später begriff ich, dass Franz-Josef Strauß ihn so gereizt hatte. Auf Elternabenden in besagtem Gymnasium haben sich die Bonzeneltern auch immer auf ihn "gefreut", wenn er ihnen in Herbert Wehner-Manier die Leviten gelesen hat. Geiler Typ, Gruß nach oben!
Puh, jetzt bin ich aber abgedriftet. Die Feierabendbiere führen unweigerlich zu Unkonzentriertheiten.
Zurück zu den Kulturen.
Die einzige Subkultur, die mir heute noch regelmäßig begegnet, ist die der Ultras. Und als einer der relativ wenigen Menschen in diesem Land, die zu der allerersten Generation derer zählen, sollte man meinen, dass diese natürlich immer noch meine ist, irgendwie. Dicken ist ja schließlich auch immer noch Punk wie 1978. By the way: Was für eine Ikone. Ich liebe diesen Mann! Küsschen, mein Lieber!
Aber das komplette "Ultras"-Thema langweilt mich inzwischen. Das ist gar kein USP-Diss, sondern alles daran weltweit gibt mir keine Inspiration mehr. Gerade in Deutschland koordiniert wie nie zuvor, immer perfekt, alles sieht gleich aus, keine Handschriften, keinerlei Geitesblitze.
Dazu kommt wahrscheinlich auch, dass sich der eigene Hormonhaushalt stark verändert, wenn du älter wirst. Als passionierter Radfahrer in dieser Stadt ergeben sich täglich Situationen, in denen es zu einem Raufhändel (Google-Übersetzung: Gewalttätige Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Personen, meist mit den Fäusten ausgetragen.) kommen könnte. Während früher auch mal ein Außenspiegel abgetreten wurde, unterlasse ich solche Eskapaden seit geraumer Zeit... und freue mich später über die eigene Besonnenheit, obwohl NATÜRLICH im Recht gewesen. Manchmal juckt's natürlich schon in den Fäusten, denn in der nächsten Schule genoss ich mehrere Jahre den Unterricht von Klaus in seiner schulinternen Box-AG. Auch ein Geiler, der mittlerweile dahingeschieden sein dürfte, weil der Gerstendroge nie ganz abgeneigt.
Ein kleines bißchen lebt er weiter, wenn ich heutzutage an Donnerstagen, wenn die Kids im Laden sind, der
(Möchtegerngangster-)Fraktion einer Schar etwa 13-Jähriger, die - wie Jungen in dem Alter halt zwangsläufig gegenseitig ihre Kräfte testen und messen - wilde Schattenboxschwinger austeilen ohne
wirklich zuzuschlagen, zeige, dass ihre Technik verbesserungswürdig ist. Wichtigster Schlag - und da hatte der Klaus absolut Recht - ist die eigene Doppeldeckung. Mit den Ellenbögen vor den
Organen, denn kein Schlag ist letztlich so effektiv wie ein sauber gesetzter Leberhaken. Schlauer Typ. Zweitwichtigster Schlag ist der Jab, der direkteste Weg von A nach B. Drifte ich erneut ab?
Ach du scheiße!
Dadurch, dass die Ultras die gefühlt letzte vitale Jugendkultur mit ungebrochener, eher noch steigender Anziehungskraft sind, verlor die ganze Nummer natürlich alles Nonkonforme, wird auf gewisse Weise gediegen. Nichts auf der Welt langweilt mich mittlerweile so sehr wie Pyro-Shows. Soooooo ein Bart! Aber Jugendliche finden das megageil. Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Um auf das Jahr 1988 zurück zu kommen, muss ich gestehen, damals aus D-Böllern schlimme Geschosse gebastelt zu haben, die später auf dem Sandkastengelände des angrenzenden Spielplatzes durchaus nennenswerte gestalterische Veränderungen verursachten. 36 Jahre später mit Sicherheit verjährt.
So ziemlich alle der Ragazzi-Kids sind natürlich "ultrasaffin", viele von ihnen werden in zehn Jahren die Geschicke in der Südkurve lenken, ein ja zwangsläufiger Prozess.
Wenn dann aber einer etwas ausschert und mit einer Jugendkultur anbändelt, die zumindest in unseren Breiten akuten Nachwuchsmangel aufweist, mir aber auch sehr am Herzen liegt, kommt große Freude auf. Das drückt bei mir alle Knöpfe, wenn ein Halbstarker, der genauso alt ist wie ich es 1988 war, gegen seine Umwelt opponiert, Skinhead wird, obwohl quasi keine gleichaltrigen Spielkameraden zur Verfügung stehen.
Da kann ich gar nicht anders, als meinen bestmöglichen Support immer wieder und wieder bereit zu stellen, der auch durchaus angenommen wird.
Letztens haben wir eine ebenfalls etwas unmoderne Geschichte wieder aufleben lassen. Nämlich das Plakatieren. Aufkleber schön und gut, aber von der Haptik her ist Plakatiertes viel besser, sofern sauber praktiziert.
Ich bin ein wenig angetrunken, könnte noch locker bis zwei Uhr morgens weiterlabern gerade, doch in acht Minuten ist Mitternacht, die Deadline für das heutige Posting. Deshalb jetzt nur noch schnell die beiden Bilder davon. Gutes Nächtle, die Bringschuld erscheint zumindest erbracht!