Berlin Boredom

Hauptstadt-Kolumne von Simone de Coupe

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6 | Die Bratwurstparty geht weiter!

Erstveröffentlichung in Kiezkieker #37 vom 26.08.2013

Das Beste an Inglorious Basterds: Tarantino zitiert dreifach eine alte Weisheit, die leider immer noch gültig ist: „Du kannst Hitler nur im Kino töten.“ Im Kino, im Film, mit Film.

 

Willkommen in Berlin-Hellersdorf im Jahr 2013. Hellersdorf ist kein Film und kein Kino. Hier leben Hitler und seine verdorbenen Gedanken in blitzsauber geputzten fünfstöckigen Neubauten. Eine Gegend, von der uns Leute glauben machen wollen, hier seien die Menschen verlassen worden, schon vor langer Zeit. Das einzige was Hellersdorf verlassen hat, ist der Verstand. Hellersdorf ist der lebende Gegenbeweis zu den Buchtiteln „Deutschland schafft sich ab“ und „Neukölln ist überall“. Hier blüht Deutschland in seiner vollen Pracht. Hier parkt der Deutsche sein Auto in schnurgeraden Parkbuchten und putzt einmal die Woche das Treppenhaus mit General Limette; ein Geruch, der einen stramm stehen lässt. Die Häuser und Straßen sind frisch saniert, die Fassaden strahlend weiß. Keine Schmierereien, keine Plakate, kein Pissegestank und kein Müll in den Vorgärten. Hellersdorf ist kein Ghetto, sondern ein Alptraum in Deutsch. Ein Paradebeispiel dafür, wohin Monokultur führt: in triste Belanglosigkeit. Hellersdorf ist so spießig deutsch, dass es sogar den „Autonomen Nationalisten“ zu langweilig ist.

 

Die Arbeitslosenquote lag im Jahr 2012 bei knapp 10% und war damit erheblich niedriger als in Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln oder Reinickendorf. Ein Problembezirk sieht anders aus, in einem Problembezirk gibt es Leben und Utopien, den Wunsch nach Veränderung, den Traum von einem besseren Leben. In einem Problembezirk sind Menschen Opfer der Zustände. In Hellersdorf ist der herrschende Zustand der gewünschte, Veränderung ist Gift, Utopie ein Fremdwort. Wir reden hier nicht von 60 Minderbemittelten, die von Nazis unterwandert werden. Wir reden von Menschen, die Anwälte einschalten und auf höchsten Ebenen der Bezirkspolitik probieren Einfluss auszuüben. Facebookseiten auf denen minutiös recherchierte Kampagnen gegen politische Gegner aufgefahren werden. Mangelnde Bildung, fehlender Einfluss? Wohl kaum. Jede/r JournalistIn, der/die krampfhaft probiert diese „Bürger“ zu Opfern einer Fehlpolitik zu machen, sollte seine publizistischen Fähigkeiten in Zukunft lieber für Testberichte über italienische Herrenschuhe oder kussfesten Lippenstift aufbewahren. Hier gibt es nichts zu differenzieren, hier gibt es nur Rassismus.

 

In fremden Kulturen gibt es Menschen, die einem Fremden ihr letztes Hemd geben, obwohl sie bettelarm sind und keine Bildung genossen haben. Die deutsche Kultur besteht daraus, vor diesen Kulturen Angst zu haben. Hellersdorf ist ein Beispiel, kein Einzelfall. Ein satt gefressener Haufen weißen Abschaums, übermannt von der eigenen Einfältigkeit und so unfassbar leer, dass die gescheiterte Idee einer Nation der einzige Anker im Leben ist. Mich überkommen viele Gefühle, wenn ich daran denke, aber garantiert kein Mitleid.

 

Ob es dieser sackdumme Haufen zu Fleisch gewordenen Frittierfetts ist oder die pseudointellektuellen Kulturtheoretiker, die Wagner immer noch für einen intelligenten Mann halten - alle scheißen sie sich ein vor Angst eine Scheibe Brot vom Laib abgeben zu müssen. Die vollkommene Abwesenheit von Mitgefühl und menschlichen Qualitäten vereint sich in ihrem Deutschsein. Ein erbärmlicher Haufen Versager, geleitet von den niedrigsten Instinkten, gefangen in einer kleinen, engen Welt, die nur Platz für eine Sorte Mensch hat, sich selbst.

 

Das Leben ist kein Film, Lieutenant Aldo Raine wird nicht herbei eilen und Rache nehmen. Rassismus ist ein unbesiegbarer Gegner, er tötet andere und ist selber nicht totzukriegen. Der deutsche Traum lebt, in vollgepissten Jogginghosen und rosa Ringelshirts. Die Bratwurstparty ist leider nicht vorbei, gerade hat jemand Kohle nachgelegt.

Anmerkung des Layouters: Normalerweise illustriere ich diese Kolumne mit Werken von Heinrich Zille, den ich seit meiner Kindheit sehr verehre. Für diesen Text allerdings konnte ich keine geeignete Zeichnung des alten Berliner Meisters finden. Und irgendwie wäre mir das auch zu schade gewesen.

Angemessen für das Thema fand ich eher Bilder von Lemuren. Fahrt zur Hölle!