Körperfunktionen

  

Wissenschafts-Kolumne von Witte


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Leonardo da Vinci  "Der vitruvianische Mensch"

Teil 2

Erstveröffentlichung in Kiezkieker #4 vom 11.09.2011

Manchmal wünscht man sich ja in den Körper eines anderen. Oder einer anderen. Das kann die verschiedensten Gründe haben, und manchmal sind diese sicherlich gar nicht lustig. Bei mir hingegen ist es reine Sensationsgier. Ich hätte nämlich zu gerne die 40köpfige Schwanzparade, die sich hinter der Leitplanke irgendeiner Autobahnauffahrt irgendwo zwischen Cottbus und Berlin erleichterte, von vorne gesehen. Dieses zweifelhafte Vergnügen hatten irgendwann Ende der 90er eine Handvoll junger Damen, eingepfercht in einen Kleinwagen, über den die Fahrerin kurzfristig die Kontrolle zu verlieren drohte. Ob es zu Blickkontakten kam, entzieht sich meiner Kenntnis.


Zu verdanken hatten wir diese Situation denjenigen Dresdnern, die ein oder zwei Spieltage vorher auf diversen Raststätten das Zahlen vergaßen und die Räumlichkeiten auf eher unkonventionelle Weise umdekorierten. Deswegen durften Auswärtsbusse in der Folgezeit in ganz Brandenburg nicht mehr halten, vom Stadion natürlich mal abgesehen. Dass wir in einem Vehikel ohne Bordtoilette untergekommen waren ist natürlich typisch, in meinem Fall allerdings nicht so tragisch gewesen. Wegen grippalem Infekt mit dicken Mandeln und allem Pipapo war ich bis Unterkante Oberlippe so voll mit Antibiotika, dass bei jedem Nieser ein anderer gesund wurde. Mir war alles in allem also recht elend und mal gar nicht nach Saufen, aber dadurch musste ich halt auch deutlich weniger dringend pissen als der Rest. Bei dem wurde es allmählich brenzlig. Ob der Kutscher nun in einem Akt der Humanität handelte oder einfach nur befürchtete, die Karre geflutet zu bekommen… ich weiß es nicht. Zum wahrscheinlich ersten und letzen Mal in seinem Busfahrerleben widersetzte er sich jedenfalls den Anordnungen der Polente und hielt auf dem kleinen Stück Standstreifen zwischen Ab- und Auffahrt.


Bizarre Szenen an den Ausgängen. Kennt Ihr noch die Fernsehbilder, wenn früher der Winter- oder Sommerschlussverkauf bei Karstadt losging? Verkaufspersonal, das durch die Wucht der aufgedrückten Türen nach Aufschluss buchstäblich zur Seite geschleudert wird und Hausfrauenkeilereien um die Jahresuhren für ´nen Zehner? War ungefähr so diese Liga, nur ohne Grabbeltische. So ein richtiger SSV /WSV ist nebenbei bemerkt irgendwie auch so ein Relikt, dass ich vermisse, ähnlich wie Sperrmüll. Aber das tut hier nichts zur Sache. Dass Carsten Wehlmann nach dem siegreichen Spiel seine Torwarthandschuhe in den Block geworfen hatte und ich den einen fing, während mir der andere direkt in die halb geöffnete Bomberjacke flog eigentlich auch nicht, fällt mir aber gerade ein. Der rechte müsste irgendwo im Keller liegen, für den linken hat unser damaliger Fanbeauftragter noch im Bus blank gezogen. Heute entwirft er die Merch-Klamotten. Irgendwann schließt sich halt jeder Kreis.


Ein Gutes hat es natürlich, wenn man über längere Zeit daran gehindert wird Wasser abzuschlagen, denn wenn´s läuft, dann läuft´s. Ganz egal wo oder wer neben einem steht. Das ist nicht immer so. Was früher kurz und knapp als Klemmi bezeichnet wurde, nennt sich heutzutage Paruretiker und kann nicht, wenn andere dabei sind. Das ist an und für sich gar nicht mal unverständlich, aber für die Betroffenen alles andere als komisch. Rund sieben Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung litte hierunter, lässt die Wissenschaft verlautbaren, und damit ist die schüchterne Blase eine der am weitest verbreiteten sozialen Phobien unseres Kulturkreises. Die sportlichen jungen Herren, die im alten Müngersdorfer Stadion lange Zeit direkt über dem Gästesektor Platz nahmen, gehörten wohl mehrheitlich zu den anderen 93 Prozent. Das alles Gute von oben käme, wurde dort mehrfach eindrücklich widerlegt. Von daher betrieben die Kölner vor ein paar Wochen auf Schalke gar keine Körperverletzung, sondern Traditionspflege. Vielleicht hatten sie auch an Neurodermitis leidende Gelsenkirchener ausgemacht und in vorauseilender Hilfsbereitschaft eine gehörige Dosis Harnstoff zwecks externer Anwendung spenden wollen. Gegen Exzeme etc. hilft zwar eigentlich der eigene Urin besser, aber der Gedanke zählt.


Ganz böse Gedanken kommen mir, wenn ich an die Stories über diese lütten Fische im Amazonas denke, die sich von Uringeruch angelockt fühlen und ab und an einem unvorsichtigen Schwimmer in den Harnleiter schwimmen um sich dort dann zu verbeißen. Aua. Das machen sowohl der Candiru (Vandellia cirrhosa) als auch der Tridensimilis brevis, der auf deutsch passender Weise den schönen Namen Harnröhrenwels trägt. Kommt zwar nicht wirklich oft vor, aber auch einer der wenigen möchte man eigentlich nicht sein. Immerhin hätte man was zu erzählen nach dem Urlaub, Sonnenbrand und Taschendiebstahl kann schließlich jeder. Was zu erzählen hätte hierzu sicherlich auch eine sankt paulianische Tresen-Ikone, der wir an dieser Stelle gerne Raum für ein mehr oder minder fikives Kurz-Interview einräumen wollen:


KK: Und? Wie geht´s?

 

M: Naaaaa, Hoschi…

 

KK: Was sagst Du denn dazu?

 

M.: Zwei mal gefickt, einmal gepisst.

 

 

Na also!